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Foto-Portal Jugendschützer: Flickr-Filter nach deutschem Recht nicht nötig

Der US-Mitmach-Fotodienst reagiert auf Proteste deutscher Nutzer: Heute Nacht wurden die umstrittenen Filter ein wenig gelockert. Jugendschützer widersprechen inzwischen Flickrs Begründung. Ihr Urteil: Das deutsche Recht verlange solche Maßnahmen überhaupt nicht.

Der Gründer des Bilder-Portals Flickr, Stewart Butterfield, glaubt selbst nicht so recht an das neue Filtersystem seines Web-Dienstes: Seit zehn Tagen sperrt Flickr für deutsche Nutzer alle Bilder, die irgendein Nutzer für anstößig hält. Wegen des massiven Mitgliederprotests ist Flickr heute Nacht ein wenig zurückgerudert: Inzwischen dürfen deutsche Nutzer wieder Fotos sehen, die andere ungern "der Oma, Kindern oder Arbeitskollegen zeigen würden".

Das kündigt Butterfield im Flickr-Forum an und verspricht sofort, weiter nach Alternativen zu suchen, "ob und wie wir innerhalb der hohen Anforderungen des deutschen Gesetzgebers das Alter von Nutzern verifizieren können." Butterfield betont, Flickr gehe es bei der Zwangsfilterung allein darum, gesetzliche Vorschriften zum Jugendschutz in Deutschland zu erfüllen: "Der Jugendmedien-Staatsvertrag verlangt strenge Altersverifizierungen, um Online-Inhalte anzuzeigen, die jugendgefährdend sein könnten."

Deutsche Jugendschützer über Flickr: Kein Jugendschutz

Allerdings verlangt Flickr weiterhin keine Altersverifizierung von seinen Nutzern. Stattdessen nutzt der Dienst die Selbsteinschätzung der Fotografen. Die müssen ihre Bilder beim Einstellen in das Flickr-System selbst bewerten. Als Kriterien zum Erkennen sogenannter "eingeschränkter" Inhalte gibt Flickr dabei seinen Nutzern aber nicht etwa deutsche Bestimmungen zum Jugendschutz an die Hand, sondern diese allgemeine Aussage: Bilder, die Nutzer "nicht ihren Kindern, ihrer Großmutter oder Arbeitskollegen zeigen würden." Derart klassifizierte Bilder sind weiterhin für alle deutschen Nutzer gesperrt – egal ob sie volljährig sind oder nicht.

Diese Filtermechanik sieht allerdings die länderübergreifende Stelle für Jugendschutz im Internet Jugendschutz.net als wenig brauchbar an. Thomas Günter, Jurist bei Jugendschutz.net sagt zu SPIEGEL ONLINE: "Die Qualität des Filters bei Flickr können wir nicht beurteilen, auch weil die genannten  Kategorien für eine Einschätzung unsererseits nicht ausreichen und es letztlich eine unternehmerische Entscheidung ist, wie dieser Filter ausgestaltet ist. Und diese Entscheidung kennen wir nicht."

Jugendschutz.net: Flickr muss nicht so streng filtern

Günter bestreitet gegenüber SPIEGEL ONLINE Flickrs Darstellung, man sei laut deutschem Recht zu diesen Zwangsfiltern verpflichtet. Günter führt aus: "Flickr ist nach den Jugendschutzregeln in Deutschland wie ein Host-Provider zu behandeln." Das beudetet: "Ein Einschreiten von behördlicher Seite ist grundsätzlich erst möglich, wenn Flickr von unzulässigen Inhalten Kenntnis hat."

Generell begrüßt Jugendschutz.net es, wenn Anbieter über diese gesetzlichen Anforderungen hinaus aktiv sind. Allerdings führt Günter hier als gängige Methoden der Selbstregulierung Verfahren an, die sich von Flickrs Vorgehen grundsätzlich unterschieden: Zum Beispiel "ein eigenständiges Monitoring der Inhalte auf der Plattform" oder den Einsatz automatischer Bildfilter. Günter: "Zumindest im Bereich der Pornografie gibt es bereits Filtersysteme, die eine ausreichende Genauigkeit und Wirksamkeit aufweisen."

Deutscher Jugendschutz kein Flickr-Kriterium

Sehen dürfen die Deutschen seit heute Nacht wieder Fotos, die "von manchen Personen als störend oder unangemessen empfunden werden". Die Flickr-Nutzer besänftigt diese Veränderung nicht. In den Foren fragen Fotografen: "Wer im deutschen Ableger von Flickr hat eigentlich die Gesetze nicht verstanden?" Denn tatsächlich sind zahlreiche der bei Flickr als "eingeschränkt" eingestuften Motive nach deutschem Jugendschutzrecht unkritisch: Frauen oben ohne, nackte Menschen im Halbprofil und so weiter.

Deutsche Nutzer fühlen sich übergangen

Die deutschen Nutzer fühlen sich übergangen, ignoriert, nicht ernst genommen. Daniel Pisano, Übersetzer aus Darmstadt und seit einem Jahr zahlendes Flickr-Mitglied sagt zu SPIEGEL ONLINE: "Das ist für mich eine unzumutbare Einschränkung, ein verächtlicher Angriff auf mein Recht auf den freien Zugang zu vollkommen legalen Online-Inhalten." Für ihn ist der Fall erst erledigt, wenn Flickr ihm "den vollen, ungefilterten und unzensierten Zugriff auf sämtliche verfassungskonforme und menschenwürdige Inhalte ermöglicht".

Ähnlich äußern sich viele Nutzer in den Flickr-Foren. Ein Kommentar: "Es ist wirklich unglaublich. Auf alle diese Punkte wurde in der großen Diskussion Hunderte von Malen hingewiesen. Ist es denn so schwer, einen Anwalt zu befragen, der sich mit dem Thema auskennt?"

Der Ton zwischen Flickr-Mitarbeitern und empörten Mitgliedern wird immer schärfer. Community-Managerin Heather Champ droht Nutzern in der Diskussion mit Ausschluss vom Flickr-Portal. Ein Mitglied schreibt: "Mitarbeiter sind nur eingekaufte Helfer, jederzeit entbehrlich. Heather, vergiss das nicht, du bist ersetzbar!" Die Attackierte reagiert dünnhäutig, verweist auf das Einschüchterungsverbot in den Gemeinschaftsregeln, betont, dass solche Verstöße zur Löschung des Mitgliedskontos führen können.

Flickr-Mitarbeiter suchen andere Filtersysteme

Andere Flickr-Mitarbeiter sondieren die Nutzermeinung zu anderen Filtermechanismen. Programmierer Ben Jenkins fragt: "Was wäre, wenn Flickr die Kategorie klarer definieren würde, zum Beispiel Pornografie, extreme Gewalt und so weiter? Und was wäre, wenn solche Inhalte aus den öffentlichen Foren verbannt werden würden?" Die Frage kommt spät. Und die Antwort ist einfach: Vielleicht hätte Flickr dann höhere Verwaltungskosten - aber gewiss weit mehr zufriedene deutsche Mitglieder als jetzt.

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